Natürliche Atmosphäre für die Kinder
Erscheinungsdatum: 29.04.2025
Thomas Geuder
In Oranienburg, im Norden von Berlin, befindet sich seit den 1930er-Jahren die „Weiße Stadt“, gebaut von den Architekten Herbert Rimpl, der für den Gesamtplan verantwortlich war, und Walter Tralau, der am Bauhaus Dessau studierte. In direkter Nachbarschaft zu den strengen Zeilenbauten wird Oranienburg mit neuen Wohngebieten nachverdichtet. Als Teil dieser Strukturentwicklungsmaßnahme ist dort auch die Kindertagesstätte „Weiße Stadt“ für gut 100 Kita- und Krippenkinder errichtet worden. Das von dem Leipziger Büro Knoche Architektur errichtete Bauwerk ist ein fast vollständig rückbaubarer Holzbau mit suffizienter Haustechnik.
Das quadratische Bauwerk definiert das Gebäude an der Erschließungsstraße zu den neuen Wohngebieten einen wichtigen Orientierungspunkt im städtebaulichen Gefüge. Seine äußere Ansicht wird durch eine in der Tiefe gestaffelte, mehrschichtige Fassade bestimmt: Hinter einem leicht durchsichtigen Vorhang aus feingliedrigen, grau lasierten Lärchenholzleisten ist ein umlaufender Laubengang angeordnet, der eine Art Übergangszone zwischen innen und außen schafft. Die vertikale Lattung des hölzernen Vorhangs setzt sich auch in den eigentlichen Außenwänden dahinter fort. Zusätzlich gibt es dort einige raumhohe Fenster, sodass insgesamt ein lebendiges und facettenreiches Fassadenspiel entsteht. Durch die vorwiegende Materialität nahezu aller Fassadenteile aus Holz werden zusätzlich die Fügung und die natürliche Haptik besonders für die Kinder intensiv erlebbar.


Die Ansicht des quadratischen Bauwerks wird maßgeblich von einem umlaufenden Laubengang bestimmt. Ein feingliedriger Vorhang aus grauen Lärchenholzleisten verleiht der Fassade eine lebhafte Mehrschichtigkeit.
Im Maßstab der Kinder
Diese gestalterische und materielle Erfahrung setzt sich im Inneren fort. Zusätzlich wird die Wahrnehmung hier noch durch dezent farbig lasierte Mehrschichtplatten erweitert, die die verschiedenen Gruppenbereiche kennzeichnen und somit die Orientierung erleichtern. Den Gestaltenden gelingt es dadurch, eine helle, warme und beruhigende Raumwirkung mit großzügig natürlicher Belichtung zu erzeugen. Im Erdgeschoss sind die vier Gruppen des Krippenbereichs sowie verschiedene Verwaltungs- und Nebenräume angeordnet, im Obergeschoss haben die älteren Kinder in den sechs Gruppenräumen der Kindertagesstätte ihren Platz. Die Räume sind nach einem Windmühlen-Prinzip um einen zentralen Kern angeordnet, wobei sich zwei Gruppenräume jeweils einen Nebenraum sowie einen Garderoben- und Sanitärbereich teilen. In einem Puppen- und Theaterraum sind Rollenspiele möglich, ein Bastel- und Bauraum steht zur Förderung der Kreativität zur Verfügung. Individuelle Nestwärme bieten speziell geschützte Bereiche und Rückzugsorte. Ergänzt wird das pädagogische Angebot durch einen Bewegungsraum sowie eine Küche in kindgerechtem Maßstab zum gemeinsamen Kochen und Backen.


Nahezu alle Fassadenteile bestehen aus Holz, wodurch das Gebäude für die Kinder ein besonderes, haptisches Erlebnis darstellt. Die Innenräume sind bewusst formal klar und mit zurückhaltender Farbgebung ausformuliert, um eine ruhige Atmosphäre für die Kinder zu schaffen.
Einfache Rückbaubarkeit
Das Tragwerk des Gebäudes hat das Team von Knoche Architektur größtenteils in Holz geplant. So besteht die Konstruktion aus Holzrahmenelementen mit Decken aus unterseitig sichtbaren Holzbalken. Da die Planung durchgehend dreidimensional erfolgte, konnten die einzelnen Bauteile komplett vorgefertigt werden. Der eigentliche Aufbau vor Ort hat dadurch nur wenige Wochen gedauert. Verbaut wurden ausschließlich einheimische Hölzer, sprich, europäische Lärche und Eiche. Die Fensterrahmen und Türen bestehen aus Nadelholz. Auch bei der Dämmung ist man konsequent geblieben und entschied sich für ein Material aus Holzfasern. Die Bodenplatte besteht aus Recyclingbeton mit unterseitiger Schaumglasschotter-Dämmung. Kunststoffe, Verbundkonstruktionen und lösungsmittelhaltige Beschichtungen wurden ganz bewusst weitestgehend vermieden und – wo möglich – durch einfach rückbau- und recycelbare Produkte auf der Basis natürlicher Materialien ersetzt.


In der eigentlichen Fassade sind großzügige Fensterflächen mit Rahmen aus hellem Nadelholz angeordnet.
Effiziente Gebäudetechnik
Ein Fernwärmeanschluss liefert die im Haus benötigte Wärme für die Fußbodenheizung, die Lüftungsgeräte sowie die Warmwasserbereitung. Für die Klimatisierung der Räume im Sommer gibt es ein ausgeklügeltes Nachauskühlungskonzept, bei dem die kühle Außenluft über die von der Gebäudeautomation geöffneten Fenster einströmt, das gesamte Gebäude passiert und von einem Dachventilator wieder abgesaugt wird. Die Lüftungsgeräte, die für die Sanitärbereiche und die Küche eingesetzt sind, haben einen Wärmerückgewinnungsgrad von mindestens 65 %. Eine Photovoltaikanlage auf dem Dach liefert eine Leistung von gut 11 kWp. Der Strom wird entweder direkt verbraucht oder ins öffentliche Netz eingespeist, das als virtueller Speicher dient. Die Kita „Weiße Stadt“ wurde 2024 beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis nominiert.
© Alle Bilder: Simon Menges, Berlin