Beton, Holz und Drainagewasser
Erscheinungsdatum: 24.06.2025
Thomas Geuder
Fährt man Richtung Süden, durch das Allgäu und über die Grenze nach Österreich, gelangt man auf der Fernpassstraße in das sogenannte Reuttener Becken, in dem mehrere Gemeinden ein eng verwobenes urbanes Netz bilden. Eine davon ist Breitenwang mit rund 1500 Einwohnern. Hier, genauer gesagt im östlichen Ortsteil Kreckelmoos, haben ATP architekten und ingenieure ein nachhaltiges Produktionsgebäude für den Hersteller von Zerspanungswerkzeugen und Hartstofflösungen Ceratizit errichtet. Das 220 m lange und 85 m breite Gebäude steht direkt neben der Fernpassstraße, nur wenig dahinter beginnen die dicht bewaldeten Berge. Darauf reagiert das Gebäude architektonisch, gleichzeitig nutzt es die besondere Lage zum klimafreundlichen Betrieb.
Vom Stammwerk und gleichzeitigen Mutterkonzern im benachbarten Reutte ist die neue Produktionshalle nur ein paar Straßenkilometer entfernt, entsprechend hat man die beiden über einen bestehenden Güterweg direkt miteinander verbunden. Das Baugrundstück selbst lag über viele Jahre brach, wurde mehr noch als unansehnliche Deponie genutzt, die im Zuge der Bebauung nun ausgehoben werden konnte. Die Anrainer im kleinen Wohngebiet in direkter Nachbarschaft werden durch die längliche Gebäudeform außerdem ein Stück weit vor dem Lärm der doch recht dicht befahrenen Bundesstraße geschützt.

Tiroler Gebäudegestalt
Dem Entwurfsteam von ATP war es wichtig, dass der Neubau sich durch seine Außenwirkung möglichst harmonisch in seine Umgebung einbettet. Gleichzeitig sollte für die Produktion eine hohe Flexibilität ermöglicht werden. So haben sie ein hauptsächlich zwei- und teilweise dreigeschossiges Gebäude mit insgesamt sieben Hallen entwickelt, das ein klar ablesbares Sockelgeschoss besitzt. Diese Gestaltung steht das Entwurfsteam als Analogie zur schroffen Tiroler Bergwelt: Das Sockelgeschoss aus Ortbeton bildet die solide Basis analog zum Stein der Berge, die Holzfassade darüber ist eine Reverenz an die umgebenden Wälder von Tirol. Die gut 11.000 m² große Fassade besteht aus Fichtenholz und ist – korrespondierend zum Wald – vertikal gegliedert.

Holz-Beton-Bauwerk
Diese vorherrschende Materialdualität setzt sich im Innenraum fort. Er ist strukturiert durch eine markante Mittelzone in Längsrichtung, die das Gebäude wie eine Art Rückgrat in zwei Hälften teilt und die gesamte Erschließung übernimmt. Ein Teil des Tragwerks besteht aus Fertigteilstützen mit Fertigteilträgern aus Beton, eindrucksvoller jedoch sind die Holzfachwerkträger mit darauf gelagerten KLH-Decken (Kreuzlagenholz). Die Konstruktionshöhe der Fachwerkträger von 4,20 m ermöglicht ein zusätzliches Zwischengeschoss, das Raum für die notwendigen Technikbühnen der jeweiligen Produktionsbereiche, für die Lüftungsgeräte sowie für insgesamt 16 Büros, 4 Besucher- und 2 Brotzeiträume bietet. Von diesen über der Produktion schwebenden Holzboxen aus haben die Mitarbeitenden einen exklusiven Blick in die Hallen, deren Gestalt von Holz und Beton geprägt ist.

Dach für Energie und Klimatisierung
Mit einer Fläche von rund 15.000 m² bietet das Dach des Gebäudes viel Platz für wichtige Funktionen: Die extensive Begrünung schützt nicht nur vor Beschädigungen durch Regen und Hagel, sondern erhöht auch die Lebensdauer. Außerdem wird das Mikroklima verbessert, indem die Bildung von Hitzeinseln verhindert wird. Dies wirkt kühlend auf die Innenräume, was wiederum den Energiebedarf zur Temperierung der Räume senkt. Eine PV-Anlage mit einer Bruttogesamtfläche von knapp 1.900 m² und einer Leistung von 380 kWp, die im Jahr immerhin 480.000 kWh erzeugt, liefert günstigen und umweltfreundlichen Strom zur Eigennutzung.


Heizung mit Drainagewasser und Druckluft
Allein die Maschinen und Druckluftkompressoren in den Produktionshallen erzeugen eine beachtliche Menge an Wärme, die jedoch nicht – wie allzu oft üblich – weggekühlt und in die Atmosphäre entlassen, sondern aktiv für die Beheizung des Gebäudes genutzt wird, etwa um die Zufahrtsrampen eisfrei zu halten. Im Sinne des „ATP Green Deals“ haben sich die Planenden außerdem eine Besonderheit des Ortes zunutze gemacht: Um einen Rückstau des Grund- und Hangwassers am Gebäude zu verhindern, sind unter dem Fundament Drainageleitungen angeordnet, über die das anfallende Wasser gesammelt und gezielt abgeleitet wird. Gleichzeitig wird dieses Drainagewasser ganzjährig zur thermischen Energiegewinnung genutzt: im Sommer zum Free Cooling und im Winter zum Betrieb von Wärmepumpen, die Wärme für die Beheizung der Innenräume produzieren. Ein positiver Nebeneffekt der Wasserdrainage: Durch das Ableiten des Wassers in den nördlich vom Baugrund gelegenen Grünlandbereich konnte ein ausgetrocknetes Biotop wieder belebt werden.
Bilder: © ATP / Tom Bause, Innsbruck